Zur Geschichte der Juden in der Region

Zur Geschichte der Juden in der Region

Vermutlich schon in der Spätzeit des Weströmischen Reiches siedelten Juden in der Pfalz. Und auch wenn in Köln bereits im 4. Jahrhundert das Vorhandensein einer jüdischen Gemeinde nachzuweisen ist, standen einer kontinuierlichen Besiedlung des westlichen und südwestlichen Deutschland durch Juden zunächst v.a. an zwei Faktoren entgegen: zum einen war ein schon in der frühen Kirche aufkeimender Antijudaismus, der die Juden als „Gottesmörder“ stigmatisierte, eine nie versiegende Quelle zur (relativen) Isolierung der jüdischen Bevölkerung und zum anderen mutierte das Gebiet der heutigen Pfalz über die Jahrhunderte dank häufig wechselnder Herrschaften mehr und mehr zu einem politischen Flickenteppich mit unterschiedlichen Rechts- und Lebensbedingungen gerade auch für die jüdischen Untertanen. Zwischen wohlwollender Förderung ihrer Ansiedlungen und Aufenthaltsverboten und Ausweisungen aus herrschaftlichen Gebieten gab es unter den klerikalen und weltlichen Herrschaften ein breites Spektrum der Integrationsbereitschaft oder -verweigerung. Wenngleich ab dem 9. Jahrhundert phasenweise eine gewisse Stabilisierung des religiösen und politischen Umganges mit den Juden zu beobachten war, gehörten doch immer auch antijüdische Ressentiments bis hin zu Pogromen zur politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit in südwestdeutschen Landen. Letztlich kann erst frühestens seit der Französischen Revolution von einer einheitlichen jüdischen Geschichte in der Pfalz gesprochen werden.

Bereits seit 311 war die jüdische Religion als religio licita (erlaubte Religion) im Römischen Reich anerkannt, ihre Mitglieder waren vom Kaiserkult und den Opfern an die römischen Staatsgötter befreit. Nach dem Ende des Reiches räumten die Franken-Herrscher Karl der Große (747–814) und sein Sohn Ludwig der Fromme (778-840) den Juden ihres Reiches besondere Privilegien ein.

Auch andere, spätere Zeugnisse belegen, dass jüdisches Leben am Rhein und in Süddeutschland trotz religiöser Vorbehalte bei vielen Mächtigen ihrer Zeit geschätzt wurde. In der Regel war deren fiskalisches Interesse an den Juden aber wohl weitaus höher als ihre religiöse Toleranz; die jährliche Zahlung des „Judenschutzgeldes“ und anderer Sondersteuern waren gern gesehene Einnahmequellen. Die Herrschenden, die Ritter, der lokale Adel, und hernach auch die Stadtherren allein konnten den „Fremden“, als die die Juden angesehen wurden, das (römische) Bürgerrecht verleihen, sie zu „Freien Bürgern“ privilegieren und unter ihren Schutz stellen. Einzelne Juden oder ganze Gemeinden erhielten „Schutzbriefe“ des Königs -meist nur gegen entsprechende erhebliche Finanzleistungen ihrerseits- ; diese konnten aber jederzeit und ohne Begründung durch die Schutzherren zurückgenommen werden.

Alte römische Garnisonsstädte entwickelten sich um die erste Jahrtausendwende zu Handelszentren unter jüdischer Beteiligung. Im frühen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bildeten sich regionale jüdische Siedlungsschwerpunkte heraus. In Köln (1012), Worms (1034) und Trier (1066) wurden ersten Synagogengemeinden Rechte verliehen, die die Etablierung jüdischer Existenz in der Gesellschaft förderten, ihren Aufenthalt und ihren Status wesentlich sicherten. Es entstanden Schul- und Lehrhäuser, jüdische Friedhöfe wurden angelegt, Judenquartiere (Judengassen) erleichterten den Vollzug religiöser Vorschriften, z.B. das Einhalten des Sabbatgebotes, die Nutzung des Ritualbades, der Mikwe, etc. Unter Duldung der christlichen Obrigkeit entstand vielerorts eine Selbstverwaltung, die sich um Steuern, Kultus und Schule kümmerte, Statuten erlassen und jüdisches Recht unter Aufsicht des Rabbiners einführen durfte.

Hinsichtlich der Möglichkeiten zur Ausübung von Berufen unterlagen die Juden seit dem Mittelalter in ihren städtischen Quartieren und den ländlichen Räumen den herrschaftlichen –d.h. oft kirchlichen- Zuweisungen und Beschränkungen. So wurde jüdischen Ackerbauern und Handwerkern nicht nur die Mitgliedschaft in christlichen Zünften verwehrt, sondern es galten schon bald generell die von Christen erlassenen „Berufsverbote“, die über Jahrhunderte Juden vom Ackerbau und zünftigen Handwerken ausschlossen. Auch in der Pfalz hatte dies zur Folge, dass sich die Erwerbstätigkeit von Juden überwiegend in überschaubaren Handelsberufen (Vieh- und Weinhandel, in Einzelfällen sogar mit interkontinentalen Kontakten) konzentrierte. Viele konnten sich nur als Kleinhändler, Metzger, Hausierer oder Alt- und Gebrauchtwarenhändler ein karges Einkommen erarbeiten; nur vereinzelte erwirtschaften sich einen gewissen, zudem oft geringen Wohlstand.

Am ehesten gelang dies jenen Juden, die das Geldwesen zu ihrem Beruf machten. Da es den Juden -im Gegensatz zu den Christen- seitens der katholischen Kirche erlaubt war, Geld gegen Zinsen zu verleihen, war seit dem 12. Jahrhundert das Kreditgeschäft oft in jüdischer Hand. Familie und/oder einzelne Gemeinden wurden über diesen Weg recht wohlhabend.

Die familiären oder gemeindlichen Kontakte wohlhabender jüdischer Geldverleiher oder Händler zeitigten spezielle Win-Win-Situationen: einerseits profitierten die Machthabenden von der Vernetzung der Beziehungen weit verstreut lebender jüdischer Communities und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Wertschöpfungen, andererseits trugen diese Kontakte wesentlich zur Stabilisierung der ökonomischen Infrastruktur des ländlichen und urbanen Raumes sowie zur weltanschaulichen Imagebildung der Gemeinden und zum öffentlichen Ansehen einflussreicher jüdischer Familien bei. Da selbst diesen empor gestiegenen Juden als Bedingungen für die Berufung in ein städtisches Amt Grundbesitz fehlte und ein „ausreichendes Ansehen der Person“ eine korrumpierbare Bedingung dafür war, nutzten die Herrschenden wohl gerne die ökonomischen Stärken der jüdischen Elite, verhinderten aber qua Amt deren direkte politische Einflussnahme oder eventuelle Ambitionen auf eine Machtstellung.

Die relativen oder vermuteten Privilegien einzelner Juden steigerten die Missgunst christlicher Zeitgenossen generell gegenüber Mitgliedern der Gemeinde. Und auch die soziale Integration verarmter jüdischer Familien stand sicherlich nicht oben auf der Agenda der Christen und Kirchen. Im Gegenteil: Hinterlistigkeit, Intrigenspiele, Verschwörungsabsichten, Falschheit und Bosheit wurden als „Erklärungsmuster“ für vermeintliche jüdische Charaktereigenschaften bemüht und gaben der gesellschaftlichen Ränke gegen die Juden starken Nährboden.

Die so vorstrukturierte soziale Ungleichheit, gepaart mit religiösen Separierungen und kirchlicher Machtausübung förderte den Neid und schürte Judenhass. Papst Urban II. rief 1095 zum 1. Kreuzzug auf und heizte mit seine Wanderpredigern im Volk die Stimmung gegen die Juden an. Während des Bauernkreuzzuges im Vorfeld des Ersten Kreuzzugs der Ritter wurden im Frühjahr 1096 die im Rheinland ansässigen Juden von Kreuzfahrern angegriffen. Nicht selten „besorgten“ sich diese bei Juden oder in jüdischen Gemeinden das Geld zur Finanzierung ihrer Teilnahme am Kreuzzug. Nicht selten waren aber auch primitive Vergeltungs- und Ausrottungsphantasien, Schuldzuweisungen gegen die „Gottesmörder“ etc. Motive solcher Hasstiraden: vor dem Aufbruch ins Heilige Land wollten Kreuzfahrer Juden aus heimatlichen Territorien vertreiben. In derartigen pogromartigen Aktionen sahen sie eine religiöse Tat, die ja ihre Fortsetzung im Heiligen Land mit der „Reinigung“ der Heiligen Stätten von den Andersgläubigen finden sollte.

Nach ersten organisierten Judenpogromen im Heiligen Römischen Reich, in Spanien und Frankreich, mit dem Aufkommen der Kreuzzüge und der beginnenden Pestepidemie nahm die Geschichte der Gewaltexzesse und Verfolgungen der Juden und die unsolidarische Hinnahme ihrer Leiden auf deutschem Boden ihren Anfang.

Die Aversion und die Aggressionen gegen die Juden sprangen auch auf die Pfalz über: am 23. April 1283 kam es zu einem Pogrom, bei dem 13 namentlich bekannte Juden in Rockenhausen erschlagen wurden; unter ihnen auch ein Rabbi und seine Familie. Und 1349 wird der Ort –zusammen mit Odernheim am Glan- erneut mit Judenverfolgungen in Verbindung gebracht. Anlass dafür war wohl die Pestepidemie 1348/49, für deren Ursache die Juden als angebliche Brunnen- und Wasservergifter verdächtigt wurden.

Die feindliche Stimmung im Lande und die Verarmung der Bevölkerung durch Kriege, Missernten und das Feudalsystem ließen Juden fortziehen. In den folgenden Jahrhunderten sind nur wenige Juden in der Nordpfalz ansässig Die politische und gesellschaftliche Stimmung kennzeichnet ein Votum des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken, der eine Verordnung erließ, die seinen Söhnen, ihren Nachkommen und Erben auferlegte, „dass keiner Juden oder Judengenossen in sein Gebiet wieder einkommen lasse.“

Die antijüdischen Thesen des Papstes Urban II. von 1095 zeigten Langzeitwirkung; seine pseudo-theologischen Begründungen waren noch in Theologie und Wirken des Reformators Martin Luther präsent. Der vertrat –ganz „Kind seiner Zeit“- populistische Vorurteile, indem er Geldwirtschaft und Handel der Juden kritisierte, die Erfolglosigkeit der Judenmissionierung als Zeichen von deren gottloser Verstockung und als Zeichen ihrer Verbindung mit dem Teufel wertete. Luther generalisierte Verfehlungen von Juden als deren urtümliche Haltung, typisierte die Mitglieder dieser Gemeinschaft schändlich, unterstützte spektakuläre, fragwürdige „Sanktionen“ gegen Juden oder forderte sie von den Bürgern und den Regierenden ein. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seinem Antijudaismus fand nicht statt. Hingegen ging von Luthers Haltung und Theologie eine Wirkungsgeschichte aus, deren judenfeindlichen Stereotypen 400 Jahre später als Alibi für den Holocaust von den Nationalsozialisten herangezogen wurden.

Das Bild vom reichen und gerissenen Juden bestärkte die Vorurteilsbildung bis hin zum Mythos einer „jüdischen Weltherrschaft“ durch das „Finanzjudentum“. Der „arme Jude“ hingegen galt als der schmutzige, zum Leben und für die sogenannte Normalgesellschaft Untaugliche und wurde weitgehend sozial ausgegrenzt. Wohl nur selten wurde hinterfragt, welche strukturellen Rahmenbedingungen solche Diskrepanzen und Stigmatisierungen ermöglichten und die spontane und –Jahrhunderte später systematische, industrielle- Auslöschung alles Jüdischen erdachten und voller Hass akribisch ausführten.

Im 17. Jahrhundert (nach 1662) lebten wieder vereinzelt Juden in Rockenhausen, doch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm deren Anzahl deutlich zu und wuchs auf bis zu 140 Personen an. In dieser Zeit gehörten zur jüdischen Gemeinde in Rockenhausen auch die Juden in Bisterschied, Dörnbach, Dörrmoschel, Kriegsfeld, Teschenmoschel, Waldgrehweiler und in Würzweiler.

Infolge der Beschlüsse der französischen Nationalversammlung wurden auch den Juden in deutschen Regionen volle Bürgerrechte gewährt. Allerdings beraubte ein napoleonisches Dekret etwa zehn Jahre nach der Umsetzung der Revolutionsforderungen viele Juden ihrer Freiheiten; das betraf v.a. die Handels- und Gewerbefreiheit, diverse Bürgerrechte und das Namensrecht. Von einer starken Zuzugswelle in dieser Zeit profitierte nicht unwesentlich die Nordpfalz (1830 lebten im Kanton Rockenhausen 496 Juden, das waren 4,8 % der Gesamtbevölkerung; in der Pfalz insgesamt betrug der jüdische Anteil 2,6 % und in einzelnen Nordpfälzer Dörfern bis 25 %).

Anfangs betrieben die Juden in Rockenhausen zumeist den wenig gewinnbringenden Kramwaren- und Kleinhandel. Da Juden der Zugang zu Handwerk und Zünften verwehrt war, hatten sich oft jüdische Händler-Familien mehr und mehr ihre Kundschaft unter der Landbevölkerung gesucht und sich deren Bedarfen in Land- und Hauswirtschaft angepasst. Im Laufe des 19. Jahrhunderts brachten es auf diesem Wege einige jüdische Familien als Landesprodukte-, Vieh- und Pferdehändler zu einem gewissen oder auch beträchtlichem Vermögen. Andere jüdische Familien verarmten mangels wirtschaftlicher Teilhabemöglichkeiten.

In der nichtjüdischen Bevölkerung des beginnenden Industriezeitalters ist zu beobachten, dass sich infolge der Kriege und gesamtwirtschaftlichen Nöte viele Bürger verschuldeten und proletarisierten. Aus ländlichen Regionen ist bekannt, dass Bauern von jüdischen Händlern selbst ihr Vieh auf Schuldenbasis kauften. Abhängigkeiten zwischen Nichtjuden und Juden führten zur Herausbildung neuer Formen von Judenfeindschaft, wenngleich in der kleinstädtischen Gesellschaft das Zusammenleben der jüdischen Minderheit und der christlichen Mehrheit relativ problemlos verlief. Die soziale Spannung im Zusammenhang der wirtschaftlichen Abhängigkeiten bildete jedoch eine latente Quelle für erneut wachsende antijüdische Ressentiments.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen infolge von neuen Ausgrenzungen und Entrechtungen sowie in Anbetracht der ungünstigen gesamtwirtschaftlichen Lage die Anteile jüdischer Bürger an den dörflichen Bevölkerungszahlen wieder deutlich ab. Auswanderungen, v.a. nach Nordamerika, waren eine der schmerzlichen Folgen, die oft eine Überalterung der hier verbleibenden jüdischen Gemeinden oder das vollständige Verschwinden von Juden aus einzelnen Dörfern zur Folge hatte.

Andererseits ist zu beobachten, wie sich Juden in das Leben der Gesellschaft vor Ort immer mehr integrierten und Assimilierungstendenzen in allen Lebensbereichen zunahmen. Das Engagement vieler Juden in der Kommunalpolitik, im Kultur- und lokalen Vereinswesen durch Gründungspatenschaften und Mäzenatentum gibt davon beredt Zeugnis und war keineswegs mehr ausschließlich auf die eigene Community ausgerichtet. Auch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg war Zeichen der gemeinsamen vaterländischen Verantwortung jüdischer Bürger, die als Beleg für die Integration christlichen und jüdischen Bürgertums galten. Kriegstote wurden als Zeugen des Patriotismus geehrt, z.B. Sanitätsunteroffizier Alfred Berg (geb. 18.3.1892 in Rockenhausen, gef. 21.2.1915), Eugen Frank (geb. 17.6.1886 in Dörrmoschel, gef. 11.5.1916) und Robert Gutmann (geb. 28.11.1887 in Dielkirchen, gef. 5.10.1918).

Auch die Einrichtung einer eigenen Synagoge in Rockenhausen ist im Kontext dieser Zeit nicht als Abgrenzung gegenüber den Kirchen zu verstehen, sondern Ausdruck neuen Selbstbewusstseins der jüdischen Bürger angesichts ihrer wachsenden Anzahl und ihrer gesellschaftlichen Stellung im Ort. Zunächst bestand in Rockenhausen im 18. Jahrhundert ein Betsaal, welcher 1811 von Manasse Kahnweiler in einem Nebengebäude seines Hauses in der Luitpoldstr. 20 (früher Gebäude Nr. 250 in der „Grad Gaß“) eingerichtet wurde. In den 1860er-Jahren kam der Wunsch nach dem Bau einer Synagoge in Rockenhausen auf. Erste Pläne entwarf 1867/68 Bezirksbauschaffner Rosenthal. Es sollte ein zweigeschossiges Gebäude mit Synagoge, Schulzimmer und Lehrerwohnung werden, doch wurde der Bau aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht. Erst 1885 konnte das um 1874 gebaute Haus Gutenbrunnenstraße 1 erworben und zur Synagoge mit Schulzimmer und Lehrerwohnung umgebaut werden. Der Betsaal befand sich neben dem Unterrichtsraum, die Lehrerwohnung im Dachgeschoss. Hier versammelten sich (1900) bis zu 60 Männer und 35 Frauen zum Gebet und zum Hören auf die Worte der Schrift. Die Gemeinde wuchs bis in die erste Hälfte der 1930-er Jahre auf ca. 70-80 Mitglieder an.

Ein erster Friedhof wurde vermutlich im 18. Jahrhundert vor der Stadtmauer angelegt (heute: Ringstraße/Einmündung Mühlackerweg). Trotz einer Erweiterung des Geländes im Jahre 1842 war dieser Friedhof um 1900 zu klein geworden, sodass 1912/1913 eine neue Begräbnisstätte –damals weit außerhalb des Ortes in der Nähe des heutigen Schul- und Sportzentrums Obermühle am Mühlackerweg- angelegt wurde. Auf dem ca. 600m2 großen Friedhof, der von 1912 bis 1939 belegt wurde, befinden sich 22 Grabsteine. Auf dem alten Friedhof befinden sich heute keine Grabsteine mehr.

Ab Anfang der 1930-er Jahre wurde zunehmend Druck auf jüdische Gemeindeglieder ausgeübt; das wurde auch in der Öffentlichkeit sicht- und spürbar: unter dem Eindruck der zunehmenden Repressionen durch die Nazis wanderten einzelne Familien nach England, Australien und in die USA aus. Gehörten 1930 noch 83 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde an, so waren es 1938 nur noch 24.

Auch wenn der aggressive Antisemitismus im tiefbraunen Landkreis Rockenhausen wohl zunächst nicht so recht Fuß zu fassen schien, zeigte der nationalsozialistische Terror seinen Hass schließlich in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch hier: die Inneneinrichtung der Synagoge wurde zerstört. In der Folge wurden jeweils für mehrere Wochen Oskar Frank, Fritz Roelen und Salomon Roelen in das Konzentrationslager (KZ) Dachau verbracht und Hermann Mendel im KZ Buchenwald inhaftiert.

Die geschändete Synagoge in der Gutenbrunnenstr. 1 wurde schon wenige Wochen nach der Reichspogromnacht Ende 1938 zu einer Luftschutzschule umgebaut. In den Jahren 1940 ff übernahmen die Gemeinde Rockenhausen und der Landkreis Rockenhausen das Haus, das 1949 durch einen Vergleich vor dem Landgericht Kaiserslautern an die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz zurückgegeben wurde. Die Stadt erwarb das Gebäude 1975, im Folgejahr wurde es abgerissen. Eine Tafel vor Ort weist auf den ehemaligen Standort (zwischen dem heutigen Rathaus und der Adler-Apotheke) hin.

Als der nationalsozialistische Gauleiter Josef Bürckel mit seinem badischen Kollegen Robert Wagner systematisch und akribisch die Massendeportation von über 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und der Saarpfalz plante und veranlasste, wurde die Nordpfalz auch ins Visier genommen. Zehn Bürger aus Rockenhausen gehörten zur Gruppe der 106 Jüdinnen und Juden aus der näheren Umgebung, die in der Nacht- und Nebelaktion vom 21. auf den 22. Oktober 1940 aus ihrer Heimat in das französische Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen deportiert wurden. Mit der Aktion radikalisierten die nationalsozialistischen Machthaber ihre antisemitische Repressionspolitik. Deren Ziel war es, das Deutsche Reich „judenfrei“ zu machen. Bürckel und Wagner meldeten ihrem Führer Adolf Hitler die Deportation nach Gurs als erste „erfolgreiche Etappe auf dem Weg zu diesem Ziel“. In einer Chronik zum Landkreis Rockenhausen in der Zeit des Nationalsozialismus heißt es, „nicht eine einzige Hand für die vom Tode bedrohten Mitbürger“ habe sich gerührt.

In Gurs vegetierten die Deportierten unter unmenschlichen Bedingungen dahin. Ihr Tod wurde in Kauf genommen. Die meisten transportierte man nach Ausschwitz, Majdanek oder in andere Vernichtungslager, wo sie ermordet wurden. Nur wenige überlebten den Holocaust. Damit war die Jüdische Gemeinde Rockenhausen ausgelöscht. Ein Chanukka Leuchter im Heimatmuseum in der Nähe des ehemaligen Synagogenplatzes erinnert an die vergangene Geschichte der Gemeinde.

Seit Oktober 1996 wird mit einer Bronzetafel an einer Sandsteinwand hinter dem ehemaligen Standort der Synagoge der Frauen, Männer und Kinder gedacht, die im Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden waren:

Tafel am Ort der ehemaligen Synagoge
Tafel am Standort der ehemaligen Synagoge


"Verachtet - Ausgestossen - Entrechtet - Vertrieben - Deportiert - Entwürdigt - Misshandelt - Ermordet - Vergast.

Namen der jüdischen Mitbürger, die aus der Verbandsgemeinde Rockenhausen deportiert wurden:
Elsa Beitmann aus Dielkirchen / Martha Beitmann aus Dielkirchen / Mathilde Beitmann aus Dielkirchen / Siegfried Berg aus Teschenmoschel / Artur Dellheim aus Rockenhausen / Heinrich Dreyfuß aus Rockenhausen / Melanie Dreyfuß aus Rockenhausen / Aurelia Forsch aus Teschenmoschel / Heinrich Fränkel aus Rockenhausen / Hermann Mendel aus Rockenhausen / Eleonore Michel aus Teschenmoschel / Max Michel aus Teschenmoschel / Rosa Michel aus Teschenmoschel / Karoline Neumann aus Teschenmoschel / Fritz Roelen aus Rockenhausen / Helene Roelen aus Rockenhausen / Jakob Roelen aus Rockenhausen / Salomon Roelen aus Rockenhausen / Jonas Rosenfelder aus Rockenhausen.

Wir gedenken der Bürger unserer Stadt, die aufgrund ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ihrer Behinderung, ihres Andersseins zu Opfern nationalsozialistischer Gewaltherrschaft wurden.
Ihr Leid sei uns Lebenden eine Mahnung zum Widerstand gegen Unrecht.
Stadt Rockenhausen, 1996"

Von den in Rockenhausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Karoline Behr (1869), Friedrich Berg (1889), Helene Bockmann geb. Liepold (1863), Arthur Dellheim (1890), Heinrich Dreyfuß (1878), Lotte Dreyfuß (1921), Melanie Dreyfuß geb. Jacob (1886), Mathilde Eichhold (1884), Heinrich Fränkel (1898), Albert Frank (1881), Henriette Frank geb. Seligmann (1887), Sally Heinz Frank (1920), Sara Fröhlich geb. Weiß (1860), Emma Gottschalk geb. Haas (1876), Lina Grünewald geb. Wolf (1862), Julius Heyum (1900), Otto Heyum (1902), Fanny Kahn geb. Kahn (1871), Jenny Kahn geb. Liepold (1878), Albert Liepold (1879), Nathan Liepold (1883), Gerda Marx geb. Frank (1908), Sidonia Mayer geb. Frank (1906), Hermann Mendel (1873), Siegbert Mendel (1908), Fritz Roelen (1915), Helene Roelen geb. Röthler (1907) Jakob Roelen (1907), Salomon Roelen (1878), Wilhelm Roelen (1912), Jonas Rosenfelder (1908), Emilie Roth geb. Necker (1912), Else Barbara Rückersberg geb. Marx (1913), Lajla Schmeier (1922). 

Jährlich am Nationalen Gedenktag für die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wird an der Gedenktafel der Opfer gedacht und die daraus resultierende Verantwortung in Erinnerung gerufen.

Vier Jahre nach Anbringung der Tafeln zur Erinnerung an die Deportierten aus dem Bereich der Verbandsgemeinde Rockenhausen und an den Standort der ehemaligen Synagoge wurde im Jahr 2000 der Jüdische Friedhof mit NS-Symbolen und Schmierereien geschändet. Eine Gruppe von Bürgern demonstrierte auf dem Marktplatz für mehr demokratisches Bewusstsein gegen solchen Rückfall ins Gestern und jegliche Geschichtsvergessenheit. Diese Kundgebung war eine der Wurzeln, die wenig später zur Gründung des Arbeitskreises Aktiv gegen Rechts im Donnersbergkreis führte.

2016 wurde mit der Verlegung von sogenannten „Stolpersteinen“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig in den Straßen von Rockenhausen begonnen: kleine Messingplatten auf Pflastersteinen liegen auf den Gehwegen vor den früheren Wohnhäusern der Deportierten. Mit dieser Verlegeaktion hat Rockenhausen Anteil am weltweit größten Denkmal zur Erinnerung an den Holocaust und macht deutlich, dass die systematische Vernichtung von Menschen in den Konzentrationslagern auch hier ihren Anfang nahm und in der Bevölkerung zumeist ohne offenen Widerspruch hingenommen wurde.

Rheinpfalz-Artikel vom 10. Mai 2017 zu den Stolpersteinen

Rheinpfalz-Artikel vom 13. Mai 2017 zu den Stolpersteinen

Darum engagiert sich seit etwa dem Jahr 2000 ein Arbeitskreis für das angemessene Wachhalten der Erinnerung an diesen dunklen Teil der Lokalgeschichte Rockenhausens. Diesem Bündnis gehören die Stadt Rockenhausen, die Verbandsgemeinde Nordpfälzer Land, der Arbeitskreis Aktiv gegen Rechts im Donnersbergkreis, die Protestantische Kirchengemeinde und die örtliche Gesamtschule an; sie kooperieren eng mit dem Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde und der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz. Mit jährlich wechselndem Akzent werden die national-sozialistischen Gewaltexzesse gegen Juden, Sinti & Roma, Euthanasie-Opfer, Homosexuelle, ernste Bibelforscher, Zwangsarbeiter u.a. thematisiert. Alternative Stadtführungen, Ausstellungen, Konzerte, Vorträge, Lesungen, und andere Kulturangebote tragen zur Aufklärung der Generationen bei. Zugleich sollen Menschen motiviert werden, heutigen Erscheinungsweisen von Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und anderen Formen der Gewalt etc. in ihren frühen Anfängen entgegenzutreten und die Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens zu fördern.


verwendete Quellen (u.a.):

· Alemannia Judaica – www.alemannia-judaica.de

· Karl Fücks / Michael Jäger „Synagogen der Pfälzer Juden – Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden“, 1988

· Bernhard H. Gerlach / Stefan Meißner „Jüdisches Leben in der Pfalz –Ein Kultur-Reiseführer“, Speyer 2013

· Rudolf Hirsch / Rosemarie Schuder „Der gelbe Fleck –Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte“, Berlin 1987/89

· Johann Maier „Das Judentum – Von der biblischen Zeit bis zur Moderne“, München 1973/Bindlach 1988

· Roland Paul „Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs – Schicksale zwischen 1940 und 1945“, Bezirksverband Pfalz 2017

· Werner Rasche „Aus der älteren Geschichte des Judentums in der Nordpfalz“ in Paul Karmann (Hg) „Jüdisches Leben in der Nordpfalz“, Otterbach 1992

· Reinhold Rehberger „Kerndeutsch –Der Landkreis Rockenhausen in der Nazizeit“, Geldern 1989

· Wikipedia-Artikel: „Geschichte der Juden in Deutschland“, „Martin Luther und die Juden“, „Wagner-Bürckel-Aktion“ -11/2020

Tipps zum Lesen und Besuchen:

· Museum Winnweiler - Jüdisches Museum der Nordpfalz, Winnweiler, Schlossstraße 37 / www.jüdisches-museum-winnweiler.de

· Ehemalige Landsynagoge Odenbach, Kirchhofstraße 19, 67748 Odenbach: Informationen unter www.ehemalige-synagoge-odenbach.de

· Alternativer Stadtrundgang auf jüdischen Spuren in Rockenhausen



Text: Rockenhausen 12/2020, Ruprecht Beuter.